Der Chatbot Woebot will Menschen bei der Bewältigung emotionaler Krisen im Alltag helfen, rund um die Uhr, 100 % anonym. Das klingt verlockend, doch was kann ein Robo-Psychiater wirklich leisten?
Therapie bei einem Chatbot? Egal, los geht’s. Und tatsächlich: Schon nach ein paar Sätzen tendiere ich dazu, Woebot als echten Gesprächspartner wahrzunehmen, auch wenn sich das Programm bei der Einführung eindeutig als Roboter zu erkennen gibt („This might surprise you, but … I am a robot. It’s true. As smart as I may seem, I am not really understanding what you need.“) und auf die gängigen Notfallnummern für den Ernstfall verweist.
Laut einer Studie der WHO vom Februar 2017 sind weltweit rund 322 Millionen Menschen von einer depressiven Störung betroffen, das entspricht einem Anteil von 4,4 % der Weltbevölkerung. Insbesondere ältere Menschen, schwangere Frauen, Frauen nach der Geburt und Jugendliche seien betroffen, heißt es in der Studie. Für Deutschland schätzt die WHO die Zahl der Menschen mit Depressionen auf 4,1 Millionen, das sind 5,2 Prozent der Bevölkerung. 4,6 Millionen Menschen lebten mit Angststörungen.
Woebot ist in erster Linie für junge Erwachsene zwischen 18-28 Jahren konzipiert, die Entwickler möchten sich langfristig aber auch für andere Zielgruppen öffnen, wie es auf der Unternehmens-Website heißt.
Und für einen Roboter „kümmert“ sich Woebot schon nicht schlecht, das gelingt mit einfachen Sätzen wie: „I’m going to check in with you daily“. Und tatsächlich meldet sich Woebot am nächsten Tag wieder, um sich nach meinem persönlichen Befinden zu erkundigen und Zustände der Nervosität, Angst, Sorge und Depression sowie ihre Intensität und Dauer abzufragen. Meine Befindlichkeit kann ich in freien Worten eingegeben, die der Chatbot anschließend auswertet.
Die Reaktionen des Chatbots fallen einfühlsam, aufmunternd und unterstützend aus, manchmal auch etwas beliebig. Die konkreten Ratschläge sind dennoch strukturiert aufgebaut und bedienen sich den Methoden einer klassischen kognitiven Verhaltenstherapie, mit der falsche oder irrationale Sichtweisen auf emotional belastende Erlebnisse korrigiert werden sollen.
In einem einführenden YouTube-Video bekomme ich gezeigt, welche Bedeutung die eigene Wortwahl für die Bewertung von Ereignissen hat. Die App versucht, mich für übertriebene Polarisierungen (Alles-oder-Nichts-Aussagen) oder Muss-Formulierungen in den Bewertungen zu sensibilisieren („Niemand liebt mich“, „Ich habe alles verloren“, „Ich hätte das nicht sagen dürfen“). Auch „hellseherische“ Annahmen darüber, was andere Menschen womöglich über mich denken, werden hinterfragt.
Zudem stellt die App mittels einer „Toolbox“ ein festes Set an abrufbaren Hilfestellungen bereit: ein „Dankbarkeits-Tagebuch“ (Gratitude Journal), eine Methodik zum strukturierten Erreichen von Zielen (Goal Setting) sowie eine Soforthilfe zum Aufarbeiten von Ängsten (Anxiety Buster), die von mir konkret benannt und durch Umformulierung neu bewertet werden müssen.
Ansonsten erfolgt die Unterhaltung mit Woebot zum Großteil in vorgegebenen Bahnen. Um die Kommunikation möglich effektiv zu gestalten, sind vielen Antworten schon vorformuliert („Ok“, „Sounds good“, „Let’s go“), und ich bestätige nur. So entsteht ein Gefühl des Geführtwerdens, was die Illusion aufrechterhält, ich hätte es mit einem echten Therapeuten zu tun. Auch sonst bemüht sich Woebot darum, mit saloppen Formulierungen („Cool“, „Yay“, „Hey“) gute Laune zu verbreiten.
Für die maschinelle Sprachverarbeitung, d. h. die Interpretation und Analyse der freien Benutzereingaben, setzen die Entwickler auf das maschinelle Lernen mit Techniken des Natural Language Processing (NLP), mit denen der Chatbot im Verlauf der Unterhaltung sein Gegenüber immer besser kennenlernt.
Die Unternehmensgründerin Alison Darcy macht in einem Interview mit wired.com jedoch klare Einschränkungen im Hinblick auf die psychoanalytischen Fähigkeiten des Programms: „Es handelt sich nicht um eine KI, von der Du durch Aufspüren einer Art magischen Prinzips Dinge über Dich erfährst, von denen du bisher nichts geahnt hast“. Ihre KI will praktisches Werkzeug sein, kein Instrument zur tiefenpsychologischen Sondierung.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist der Idee einer solchen virtuellen Therapie nicht grundsätzlich abgeneigt, stellt in einem Positionspapier zum Thema „Internet in der Psychotherapie“ aber klare Bedingungen. So könne das Internet die psychotherapeutische Behandlung ergänzen und die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern, jedoch nicht ersetzen. Gegen eine Verzahnung von Psychotherapie und Internetprogrammen sei dem Prinzip nach nichts einzuwenden, z. B. zur Protokollierung von Aktivitäten außerhalb der Praxis und der anschließenden gemeinsamen Auswertung der Daten zusammen mit dem Therapeuten in der Sitzung.
In einer begleitenden Studie konnte jedenfalls eine signifikante Reduzierung von Ängsten und Depressionen bei der Zielgruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe nachgewiesen werden, die sich lediglich herkömmlichen Informationsmaterials des National Institute for Mental Health zum Thema Depression bediente.
Einen direkten Vergleich mit der Arbeit professioneller Psychotherapeuten zieht die Studie nicht.