Digitale Fitness-Erlebnisse für die eigenen vier Wände boomen – auch wegen Corona. Doch auch nach der Pandemie wird die Fitness-Branche eine andere sein.
Sie heißen „Body Shape mit Juliane“, „Step-Live mit Arne“ oder „Fat Attack mit Lara“ – die Rede ist von der sog. „Cyberfitness“, bzw. in diesem Fall von einem Unternehmen, dessen Name zweifelsohne Programm ist. Fitness-Trainer schwitzen rund um die Uhr und on-demand vor laufender Kamera und projizieren das Fitness Studio-Feeling quasi direkt in die eigenen vier Wände. „Dein Online-Fitnes-Club zum Mitnehmen“, lautet der Claim von „Cyberfitness“, das seine Kurse in diesen Tagen sogar kostenfrei für alle zur Verfügung gestellt – mit einem Appell verbunden: Kündigt eure Fitness-Studio-Abos trotz Corona bitte nicht! Die Fitness Studio-Branche, sie kämpft in diesen Tagen der forcierten Kontaktlosigkeit in weiten Teilen ums Überleben.
Dabei ist Fitness für zuhause eigentlich nichts Neues. Der Fitness-Keller gehört inzwischen zur Grundausstattung vieler gutbürgerlicher Haushalte, inklusive Ergometer, Hantel-Set und/oder vielleicht sogar der eigenen Rudermaschine. Neu an der digitalen Fitness ist vor allem eins: das virtuelle Coaching. Keine individuelle Trainingsberatung, aber virtuelle Anleitung.
Auch bekannte YouTuber haben ihn längst entdeckt, den „digitalen Floor“, wie es in der Unternehmenskommunikation von clever fit heißt, und produzieren fleißig Fitness-Videos für Ihre Follower. Fitness-Influencer wie Pamela Reif, Sascha Huber oder Mady Morrison verbuchen millionenfache Visits auf Ihren YouTube-Kanälen.
Und die Fitness-Studios ziehen nach.
Workouts für schlechte Tage
Denn die neue digitale Fitness ist nicht nur ein Notbehelf in dieser Pandemie-Krise, sondern wird immer öfter als Teil des Geschäftsmodells von Fitness-Studios gesehen. Mit klarem Mehrwert. Denn wer kennt es nicht. Mal ist der Arbeitstag länger als geplant, das Wetter draußen ist hundsmiserabel oder die Kinder werden spontan krank – der geordnete Gang zum Fitnessstudio fällt also flach, aber so manch einer will sein feingetaktetes Fitness-Workout dafür trotzdem nicht unterbrechen. Schließlich könnte der eigene Trainingserfolg (entscheidend) darunter leiden. Workouts für die eigenen vier Wände (oder auch für den Arbeitsplatz oder unterwegs) können hier helfen – und dazu muss man einfach nur auf einem kleinen Fleckchen Erde eine Trainingsmatte ausrollen und den passenden Kanal einschalten. So die Idee.
Fitnessgeräte mit Anschluss
Dass diese Verschmelzung von Home- und Studio-Workout immer besser funktioniert, hat auch mit den Geräten selbst zu tun. Fitness-Tracker und -Apps sind bereits seit längerem ein Trend, genauso wie Smartwatches mit neuen Gesundheitsfunktionen. Und auch die Fitnessgeräte-Hersteller rüsten ihre Produkte zunehmend mit digitalen Schnittstellen aus, z. B. der Hersteller Peloton für die Kopplung seines Fahrradtrainers mit der Apple Watch. Über eine eigene App lassen sich auch bei Peloton zahlreiche Kurse und Trainingseinheiten ins heimische Wohnzimmer holen. Derweil gibt es immer mehr dezidierte Health-Apps, die sich anschicken, gesundheitsrelevante Daten aus verschiedenen Umgebungen (Apps, Plattformen) zusammenzutragen, um für den Benutzer ein zusammenhängendes Gesundheitsprofil zu präsentieren. Noch nie konnte man das eigene Trainingslevel so praktisch auf dem Smartphone oder mit einer Smartwatch rund um die Uhr mit sich herumtragen.
Eine Frage der Motivation
Viele digitale Sport-Programme versprechen zudem das gemeinsame Training in sog. Social Communities, und schaffen so einen virtuellen Ersatz für das Gemeinschafts-Feeling im Studio. So auch die Rad- und Laufplattform Zwift, auf der sich Sportler für gemeinsame Läufe oder Ausfahrten durchs virtuelle New York, Yorkshire, Innsbruck oder sonstige Fantasielandschaften verabreden können. Die Plattform erlebt derzeit einen Boom und wird auch von großen Sportverbänden promotet. Auch viele Spitzensportler werben für das System, u. a. der Triathlet Jan Frodeno. Derzeit soll die Plattform rund 2 Milliarden zahlende Benutzer haben (Quelle: Wikipedia).
Fitness-Studios im App-Format
Das verspielte Format der Rad- und Lauf-Communities färbt inzwischen aber auch auf die Studios selbst ab: Ob Joggen am Strand von Miami zu stampfenden Techno-Beats oder Yoga an der Cote d’Azur bei sanftem Meeresrauschen, mit der geeigneten Digital- und Displaytechnik im Großformat ist das inzwischen in immer mehr Studios möglich. Mit zugeschalteten Fitness-Promi-Coaches aus anderen Ländern will z. B. die Fitnesskette McFit unter dem Label Cyberobics neue Erlebnisse kreieren und so (neue) Kunden in die Studios locken.
Mutiert das Fitness-Studio bald zum thematisch sortierten Familienpark mit bunt abgestimmten Programm und neuen Fitness-Erlebnislandschaften? Denkbar wäre es.
Was bringt’s?
Neue Themes, immer mehr Daten, mehr Flexibilität, klingt alles toll, aber wie sieht es mit dem Trainings-Effekt aus? Wer sich auf die Suche nach klaren Kriterien für den trainingswissenschaftlichen Nutzen der neuen Fitness-Angebote macht, der muss feststellen, dass es diese praktisch nicht gibt. Und das obwohl Krankenkassen für z. B. für Fitness-Kurse zur Gesundheitsprävention zahlen, so auch im Fall von „Cyberfitness“ Wie geht das zusammen?
Effekte ausreichend
Von seiten der gesetzlichen Krankenkassen gibt es durchaus Zertifizierungsmaßstäbe, die auch wissenschaftliche Kriterien beinhalten, doch zertifiziert wird in erster Linie „nur“ das Kurskonzept, dessen Zielsetzung und die Qualifikation der Kursanbieter. Der Anbieter muss die „Wirksamkeit“ durch Erhebung von Daten (bei mind. 36 Personen) belegen und die Zielsetzung „wissenschaftlich begründen“. Von aufwendigen repräsentativen trainingswissenschaftlichen Studien wird aber abgesehen. Alle Kriterien hat der GKV-Spitzenverband, der nach SGB V für die Festlegung verantwortlich ist, in einem eigenen Leitfaden zusammengefasst. Die praktische Prüfung der Kurse übernimmt für viele Krankenkassen die Zentrale Prüfstelle Prävention.