Das E-Rezept kommt (bald). Schon im Vorfeld tobt ein Kampf um Einfluss für die Zeit danach. Eine Analyse.
Ab dem 1. Januar 2022 sollen Patienten für ein ärztliches Rezept keinen rosa farbenen Zettel mehr erhalten, sondern einen QR-Code auf Ihr Smartphone, der wahlweise auch als Papierausdruck ausgegeben wird. Das sog. E-Rezept ist in der Telematikinfrastruktur des Bundes hinterlegt und kann über einen persönlichen Token über die App der gematik abgefragt und bei einer Apotheke eingelöst werden. Alternativ lässt sich der QR-Code auf Papier auch mit der Smartphone-Kamera einlesen. Wer bereits beim Arzt persönlich vorstellig war, kann sich Folgerezepte einfach auf das Smartphone schicken lassen, was Laufwege sparen und die Wartezimmer der Ärzte entlasten soll. Eine prinzipiell bequeme Sache.
Ein Stück Digitalisierung also, das beim Verbraucher (spürbar) ankommen wird. Das ist neu im digitalen Gesundheitswesen Deutschlands. Und es wird Konsequenzen haben.
Neue Gesundheitsplattformen
Die Online-Apotheke DocMorris ist der hiesigen Apothekerschaft schon länger ein Dorn im Auge. Man wehrte sich gegen Dumping-Preise bei Medikamenten und klagte auch schon erfolgreich gegen die Eröffnung von Filialen. Mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz und dem Verbot von Rabatten für verschreibungspflichtige Medikamente sah sich auch der Gesetzgeber verpflichtet in den Kampf der Systeme einzugreifen und die lokalen Apotheken zu stärken. Dass die schöne alte Welt der deutschen Apothekenfilialen damit für immer gewahrt bleiben wird, davon ist – trotz aller kurzfristig erfolgreich vorgetragenen Widerspenstigkeit – trotzdem nicht auszugehen. Der Grund: das E-Rezept wird – wenn es denn mal kommt – die Service-Landschaft der Medikamentenversorgung weiter umkrempeln. Wer dafür schon in den Startlöchern steht: die Online-Apotheken, allen voran DocMorris. Aber auch z. B. das Berliner Startup Mayd, das Medikamente per Kurier ausliefern will.
Alles aus einer Hand
Ein Blick auf die Website von DocMorris zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Hier stehen nicht nur die wichtigsten Medikamente bereit, sondern auch Ratgeber-Rubriken, ein Wechselwirkungs-Checker, Videos des bekanntes Med-Influencers Dr. Heart, eine Telefon- und LiveChat-Beratung, medizinische Fachinformationen, eine Medikamentenberatung und Therapiebegleitprogramme. Vor allem aber dieses: Über einen Link zur verpartnerten Tele Clinic kann man sich auf der Website und in der App direkt mit einem Online-Arzt verbinden. Alle zentralen Funktionen lassen sich auch über die DocMorris Smartphone-App abrufen.
Für den Quickie-Arztbesuch per App inkl. digitaler Rezepteinreichung und Medikamentenversand vor die eigenen Haustür steht also schon einiges bereit. Auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) dürfen die Tele-Mediziner ausstellen (wenn auch keine kassenärztliche), die gegenüber dem Arbeitgeber eine völlige rechtliche Gültigkeit besitzen soll. Für viele Routine-Arztgänge und -Verschreibungen könnte das in Zukunft im Klartext heißen: kein weiterer Arztbesuch notwendig. Die Unternehmensstrategie dahinter: die Entwicklung von der reinen Versandapotheke zum vollwertigen digitalen Gesundheitsdienstleister, mithilfe von Services, mit denen sich Alltagswehwehchen ziemlich schnell wegklicken lassen.
Es ist eine Strategie, die DocMorris schon länger verfolgt, und für die man sich auch gerne Partner wie Pharmafirmen, Apotheken oder andere Leistungserbringer wie eben die TeleClinic ins Boot holt. Mit DocMorris Plus respektive DocMorris Express will der Online-Versandhändler z. B. die Lieferung von Medikamenten noch am selben Tag in Kooperation mit lokalen Apotheken realisieren. Die aktuellen Konditionen für Apotheken hat DocMorris auf seiner Partner-Website veröffentlicht. So fallen neben einer Grundgebühr von 399 € monatlich (vorübergehend ausgesetzt) auch Transaktionsgebühren in Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises für nicht ärztlich verordnete Produkte an. DocMorris wirbt bei den Apothekern vor allem mit seiner Markenbekanntheit. Bis Ende des Jahres plane man mit der Teilnahme von 200 Apotheken, heißt es von der umstrittenen Versandapotheke.
Das sagen die Apotheker
Bei gut 18.700 lokalen Apotheken deutschlandweit ist das eine dürftige Zahl. Und bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) zeigt man sich derzeit „reserviert“ ob des Angebots und betont die eigene Schnelligkeit und Beratungsstärke. Weitere Dienstleistungen (so will es der Gesetzgeber) sollen folgen.
Eigene Plattform der Apotheken
Aber auch weitere digitale Ergänzungen will man parat haben, z. B. die privatwirtschaftlich vorangetriebene Initiative gesund.de oder das nicht profitorientierte Angebot der Landesapothekenverbände Mein Apothekenmanager.
Mit dem Online-Portal gesund.de soll ein neuer „digitaler Gesundheitsdienstleister“ entstehen, der die lokalen Apotheken aktiv einbezieht. Gut 6000 Vor-Ort-Apotheken sollen schon dabei sein. In diesem Zusammenschluss ist auch das Apothekenbündnis Pro Avo aufgegangen, das sich vormals für die Entwicklung einer gemeinsamen Apotheken-Plattform in Form einer Smartphone-App stark gemacht hatte. Denn Fakt ist: der Apotheken-Service in Deutschland ist weiterhin Stückwerk, insbesondere was digitale Services und Lieferungen angeht. Zwar hat der Gesetzgeber den Botengang inzwischen als „Regelfall“ definiert, einen gesetzlichen Anspruch für Kunden gibt es aber nicht. Auch hat der Gesetzgeber im Rahmen des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes mit der Bereitstellung von 150 Millionen Euro jährlich für die Vergütung von weiteren Dienstleistungen nachgebessert. Die Verhandlungen darüber, welche Dienstleistungen das genau sein sollen, sind allerdings ins Stocken geraden.
Kampf um die Kundenschnittstelle
Es ist ein Wettbewerb, um eine möglichst direkte Verbindung zum Kunden, und den daraus entstehenden Möglichkeiten. Online-Apotheken erfreuen sich seit Jahren zunehmender Beliebtheit, die in der Corona-Krise nochmal zugenommen hat.
Die Unternehmensberatung Roland Berger hat bereits 2020 im Rahmen einer Studie auf diese Entwicklung hingewiesen. Der Markt der neuen „Gesundheitsplattformen“ sei hochdynamisch. Für die Akteure im Gesundheitswesen käme es darauf, offline und online Services für den Kunden möglichst sinnvoll miteinander zu verzahnen. Verantwortliche in der Branche glauben zudem, dass den neuen Plattformen dabei auch zunehmend eine Navigationsfunktion für neue Services zukomme. Diesen Schritt ist man jetzt sowohl bei DocMorris als auch bei den lokalen Apotheken in einer ersten Form gegangen.
Es bleibt abzuwarten, wie die Kunden auf die neuen Gesundheitsangebote reagieren werden. Wenn das E-Rezept da ist.