Der Erfolg der mRNA-Impfstoffe gegen das Corona-Virus spricht eine deutliche Sprache:
Die Injektion von genetischen „Bauplänen“ oder „Anleitungen“ hat sich als neues medizinisches Wirkprinzip etabliert. Wozu können wir unseren Körper noch „programmieren“? Werden wir immer mehr zu Ingenieuren unserer biologischen Natur? Oder wie viel Technik steckt wirklich in einer Zelle?
Wer sich im „Registry of Standard Biological Parts“ umsieht, der kommt sich ein bisschen so vor, als wenn er in einem neumodischen Elektrobaukasten herum wühlt. Aber hier tummeln sich keine Widerstände, Transistoren und Schalter, sondern Bauteile für die Gestaltung von lebenden Organismen, sog. Biobricks. Das sind standardisierte genetische Grundbausteine für die Steuerung spezifischer Funktionen in Zellen, die sich z. B. zu sog. „genetische Schaltkreisen“, also dezidierten Signalwegen zwischen einzelnen Genen, die sich über biochemische Prozesse wechselseitig beeinflussen, kombinieren lassen: Promotoren, Terminatoren, Enzyme für Protein-codierende Domänen oder Ribosom-Bindestellen – das hier ist das Reich der synthetischen Biologie.
Über 20.000 Bausteine ist die Sammlung schon groß, dokumentiert von Studenten, die sich jährlich im Rahmen des iGEM (International Genetically Engineered Machine)-Wettbewerbs in Sachen Bio-Design messen und z. B. Bakterien designen, die medizinische Wirkstoffe produzieren oder als lebende Biosensoren in Gewässern dienen sollen, oder Algen so umgestalten, dass sich mit ihnen billig Enzyme herstellen lassen. „What would you design with biology?“, fragen die Ausrichter, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt. In einer Vielzahl von Wettbewerben können sich die Studenten in Bereichen wie Umwelt, Medizin oder auch Ernährung miteinander messen. Das stöbern in den Gewinner-Projekten aus dem Jahr 2020 ist eine wahre Fundgrube an Kreativität in einem Bereich, der für die meisten von uns eine noch etwas absonderliche Note haben mag. Hier findet man biologische (Teil-)Systeme vom Reißbrett: z. B. intelligente Glyphosat-Detektoren auf der Basis künstlich modifizierter Bakterienstämme für die Überwachung und den Abbau von Herbiziden in Teeplantagen oder magnetisch recycelbare Protozell-Systeme für die Katalyse von enzymatische Prozessen.
Die Wissenschaft der synthetische Biologie hat sich zum Ziel gesetzt, künstliche Organismen von Grund auf neu zu entwerfen. Man will also nicht nur – so wie in der Gentechnik – einzelne Gene in Organismen manipulieren und damit bestimmte Eigenschaften von Zellen verändern, sondern Organismen von Grund auf neu gestalten – nach dem Baukastenprinzip. Diese neuen Eigenschaften sollen prinzipiell sogar vererbbar sein. Damit das zuverlässig funktioniert, muss man jedoch erstmal herausfinden, welche Bestandteile einer Zelle welche Funktion genau erfüllen, um sie dann neu ordnen, kreativ miteinander kombinieren oder auch synthetisch selbst herstellen zu können. Es geht gewissermaßen um ein Reverse Engineering biochemischer Funktionen. Alle identifizierten „Teile“ landen anschließend im Genbaukasten und können von der Community wiederverwendet werden.
Es ist eine auf den ersten Blick ungewöhnlich technische Sichtweise auf biologische Systeme wie wir sie kennen, die stark reduktionistisch wirken mag. Doch genau aus dieser Reibung generiert die Wissenschaft bisher ihre größten Erkenntnisse, wenn auch momentan noch in erster Linie aus „Fehlschlägen“.
Auf der Suche nach dem Minimalgenom
„Let’s break it down!“ dachte sich bereits 2016 wohl auch ein Forscherteam um den Genetiker Craig Venter, heutiger Geschäftsführer von Synthetic Genomics, ein Unternehmen, das sich auf die Synthese künstlicher Organismen spezialisiert hat. Das Ergebnis: JVCI-syn3.0, eine in der genetischen Ausstattung reduzierte Variante eines Mycoplasma-Bakteriums. Von knapp 1000 für die Funktion der Zelle angenommen Genen, verblieben am Ende 473. Gene, die das Bakterium (weitestgehend) zum Überleben braucht. Aber die Auswahl war beschwerlich, ein mühsamer Kompromiss, wie sich dem dazugehörigen wissenschaftlichen Paper entnehmen lässt. Welche „Funktionalität“ sollte man wählen? Und wie lässt sich diese klar abgrenzen und (auch im zeitlichen Ablauf) klar bewerten, z. B. im Hinblick auf die (Schnelligkeit) der Vermehrung?
Für die Funktionsweise von Genen sind eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich, ob intrazellulär durch den Einfluss von Transkriptionsfaktoren, die mitbestimmen, wann bestimmte Gene abgelesen werden, oder auch durch epigenetische Faktoren, die außerhalb der Zelle liegen. Denn Zellen stehen permanent über ihre Membran mit dem extrazellulären Umgebung in Kontakt. Oberflächen- und Transmembranproteine regulieren durch komplexe Mechanismen beispielsweise wie ein Zellorganismus auf geänderte Umgebungsbedingungen oder den Angriff durch andere Viren oder Bakterien reagiert und geben Rückmeldung an den „Apparat“ der Proteinbiosynthese, der darauf sein Programm umstellen kann. Die genauen biochemischen Details dieser Stoffwechselwege sind längst nicht alle aufgeklärt und Gegenstand laufender Forschung. Dass „die Gene“ also quasi als Matrize vorgeben, wie eine Zelle in der Gänze funktioniert, ist ein sehr vereinfachendes Bild, trotzdem bildet das „Alphabet“ der Zelle eine dermaßen zentrale Struktur, dass seine Bedeutung nicht übersehen werden kann.
Die Suche nach dem „Minimalgenom“ war daher nicht unwesentlich durch das „Trial-and-Error“-Prinzip gekennzeichnet. Es mussten Methoden und Verfahren entwickelt werden, die die Funktion und Relevanz eines Gens in einem Organismus „eindeutig“ belegen. Eines dieser Verfahren ist die Transposon-Mutagenese, in diesem Fall die gezielte Manipulation von Genom-Abschnitten mithilfe beweglicher DNA-Abschnitte (Transposone) über ein Plasmid, um Veränderungen zu beobachten und funktionelle Zusammenhänge zu erkunden.
Als verzichtbar stellten sich dem Team um Craig Venter z. B. vor allem für Lipoproteine codierende Gene heraus, oder auch Gene, die keiner klaren Funktion zugeordnet werden konnten. Weitestgehend essentiell waren besonders Gene, die für den Glukose-Transport und die Glykolyse, für Wiederverwertungswege von Lipiden und Co-Faktoren, oder auch für die Translation und für RNA-Modifikationsprozesse zuständig waren.
Eine spannende Frage, die dabei immer wieder auftauchte: Warum entscheidet sich die Natur oftmals für (vermeindlich) ineffiziente Wege?
Das Endresultat bezeichneten die Forscher selbst als „hypothetisches“ Konstrukt eines Minimalgenoms – aufgrund der Vielzahl zu treffender pragmatischer Entscheidungen im Hinblick auf die Frage der „Essentialität“.
Auch stellte sich im Nachhinein heraus, dass JVCI-syn3.0 keine exakte Zellteilung vollzog, d. h das Bakterium vermehrte sich zwar, aber in unterschiedlichen Formen. Eine Arbeitsgruppe um Lijie Sun am Craig-Venter-Institut hat diesen „Fehler“ inzwischen behoben, wie erst vor wenigen Wochen bekannt wurde.
Die Zelle als steuerbare Einheit
Das ist wohl die große kommerzielle Idee, die hinter der synthetischen Biologie steckt.
Eine gezielt manipulierbare Biologie für kreative Anwendungen aller Art, wie sie die Studenten des iGEM-Wettbewerbs aber auch bereits ausgereifte Biotechnologie-Unternehmen derzeit praktisch umsetzen.
Organismen mit synthetischen Stoffwechselwegen dienen bereits heute der effizienten Herstellung von Medikamenten, z. B. von Insulin mithilfe des Bakteriums E.coli, auch moderne Immuntherapien wie die Car-T-Zell-Therapien oder Ansätze der regenerativen Medizin zur gezielten Steuerung der Ausdifferenzierung von Stammzellen in spezialisierte Gewebezellen für Herz, Leber oder Nerven, bedienen sich vergleichbarer synthetischer Ansätze. Mit den derzeit erfolgreich angewendeten mRNA-Impfstoffen wird das „Engineering“ von Organismen in einer weiteren Kategorie erfolgreich praktiziert.
Von synthetischer Biologie (in ihrer Reinform) kann hier zwar nicht immer unbedingt die Rede sein, weil Moleküle und Organismen lediglich in Einzelbestandteilen gezielt genetisch manipuliert, nicht aber von Grund auf neu zusammengesetzt werden. So ganz trennscharf ist die Unterscheidung zwischen synthetischer Biologie und Gentechnologie allerdings sowieso nicht. Beide Disziplinen bedienen sich der Methoden des jeweils anderen Fachs. Das wird auch aus einer Bestandsaufnahme des Fortschreitens der aktuellen Forschungsansätze im Bereich der synthetischen Biologie deutlich. Klar ist: So exotisch das Fach bisher wirken mag, die Anzahl der wissenschaftlichen Publikation hat in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugelegt.
Daran haben sicher auch die Teilnehmer des iGEM-Wettbewerbs ihren Anteil – das zeigt ein Blick in den Genbaukasten.